Im Mai 2013 wurde in Brüssel der Entwurf einer EU-Saatgutverordnung der Öffentlichkeit vorgestellt. In der letzten Woche wurde im Plenum des EU-Parlaments nach vorhergehender Ablehnung des Entwurfes der EU-Saatgutverordnung im Agrarausschuss des EU-Parlamentes am 11. Februar 2014 mit einer sehr deutlichen Mehrheit von 650 Für- gegenüber 15 Gegenstimmen gegen die von der EU-Kommission geplante strikte Reglementierung im Bereich der Saatgutgesetzgebung gestimmt und somit ein klares Bekenntnis zum Erhalt alter Sorten abgegeben. Eine Mehrheit von 511 Abgeordneten gegenüber 130 hat in der Schlussabstimmung letztlich dafür gesorgt, das Verfahren formal abzuschließen. Wollte die EU-Kommission nun einen weiteren Versuch in diese Richtung unternehmen, so müsste diese einen völlig neuen Entwurf vorlegen. Inwieweit diese EU-Saatgutverordnung mit den Zielen des im Juni 1992 ratifizierten Übereinkommens über die biologische Vielfalt, welches 193 Vertragspartner – darunter 168 Staaten und die Europäische Union – hat, überhaupt in Einklang zu bringen wäre, erschließt sich mir nicht.
Wie wichtig diese Thematik gerade in Österreich genommen wird, lässt sich an zwei Beispielen unmissverständlich festmachen. Bereits am 5. Juni 2013 beschließt der Bundesrat einstimmig eine Subsidiaritätsrüge gegenüber der EU-Kommission, da nach Ansicht des Bundesrates der Entwurf der EU-Saatgutverordnung nicht dazu geeignet sei, die Biodiversität und den Weiterbestand althergebrachter Sorten sicherzustellen. Mit klaren Worten äußerte man sich in Richtung Kommission – „EU-Vorschlag ist glatte Ohrfeige für die Biodiversität“ und „Hat die EU einen zunehmenden Regelungswahn?“. Ein ebenso deutliches Zeichen setzte die Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt & ihre Entwicklung – Arche Noah – mit ihrer EU-weiten Petition „Freiheit für die Vielfalt“. Von den rund 800.000 Unterschriften unterzeichneten gut 400.000 Österreicher dieses Begehren. Beide eben erwähnten Initiativen fanden sich in der Berichterstattung vieler europäischer Medien wieder, was als Beweis dafür angesehen werden darf, dass sowohl das Bewusstsein der Österreicher die heimische Artenvielfallt betreffend enorm hoch ist und auch dafür, dass Österreich innerhalb der EU eine fühlbare Wahrnehmung im Zusammenhang mit dieser Thematik erfahren hat.
Trotz intensiver Berichterstattung im Verlaufe der vergangenen Wochen und Monate und dem in diesem Sinne äußerst erfreulichen Abstimmungsverhalten im EU-Parlament scheint mir dennoch die Notwendigkeit gegeben, weiterhin mit Nachdruck die Bewusstseinsbildung der Bevölkerung im Allgemeinen, besonders aber innerhalb des Wirkungskreises der Stadt Graz mit allen Mitteln zu forcieren und auf die Konsequenzen hinzuweisen, die im Zusammenhang mit der von der Europäischen Union verfolgten politischen Stoßrichtung untrennbar verbunden sind.
Die Einführung der Saatgutgesetzgebung und die Entwicklung des Saatgutwesens ab Mitte des 20. Jahrhunderts haben die industrielle Agrarproduktion vorangetrieben und damit die Entwicklung der hohen landwirtschaftlichen Produktivität ermöglicht. Ein negatives Resultat daraus ist jedoch der starke Rückgang der Arten- und Sortenvielfalt im landwirtschaftlichen Anbau. Zu diesem Rückgang hat das System der Saatgutregulierungsgesetze einen wesentlichen Beitrag geleistet. Als Folge dieser Entwicklung stehen wir heute vor dem Problem eines enormen Verlustes der Agrobiodiversität. Die Sicherstellung unserer Ernährung hängt heute und auch in Zukunft bedeutend von der Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen ab. Mittlerweile setzen immer größere Saatgutunternehmen vorrangig auf neue Züchtungen, Hochleistungs- und nicht selbst vermehrbare Hybridsorten. Die Auswirkungen sind weltweit sichtbar. Letzten Endes wäre mit einer Umsetzung der geplanten EU-Saatgutverordnung den regionalen Bauern und Gärtnern jegliche Möglichkeit genommen worden, eigenes Saatgut, also samenfeste Sorten, beizubehalten. Alte und seltene Obst-, Gemüse- und Getreidesorten müssen geschützt bleiben. Diese Vielfalt wird seit Jahrhunderten gepflegt und von einer Generation an die nachfolgende weitergegeben - regionale Anbautraditionen, Kulturverfahren aber auch ursprüngliche Kochrezepte. Mit den Sorten verschwindet auch das Wissen rund um diese Kulturpflanzen. Was für unsere Großeltern noch Allgemeingut war, müssen wir uns heute mühsam aus alten Quellen zusammensuchen – wenn wir überhaupt noch etwas finden.
Nahrungsmittel dürfen nicht Spielball kommerzieller Interessen sein. Ökologische als auch ökonomische Diversität ist als Basis und vor allem Stärke eines jeden Kulturraumes und als einer der stärksten Mechanismen zur Risikominimierung in sämtlichen Bereichen unseres Daseins anerkannt.
Aus diesem Grund stelle ich namens des Freiheitlichen Gemeinderatsklubs nachfolgenden
Dringlichen Antrag
gem. § 18 der GO f. d. Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz
Der Gemeinderat wolle beschließen:
Der Gemeinderat der Stadt Graz bekennt sich zum Erhalt biologischer Vielfalt und zum Schutz alter Sorten und erkennt ebenso die Notwendigkeit, die Bewusstseinsbildung innerhalb der Bevölkerung im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches der Stadt Graz mit Nachdruck zu forcieren, in dem Wissen, dass letztlich nur eine breite Wahrnehmung in der Öffentlichkeit eine langfristige Sicherstellung von regionalem Saatgut gewährleisten kann.
Die zuständigen Stellen der Stadt Graz werden damit beauftragt, zu prüfen, ob irgendeine Form der Förderung möglich sei, innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches den Erhalt von Agrobiodiversität nach Kräften zu unterstützen.
Die Stadt Graz richtet im Sinne dieses Bekenntnisses eine Stellungnahme an die übergeordneten Gebietskörperschaften – vor allem aber an den Bund - und ersucht darin unter Betonung der im Motivenbericht geführten Argumentation um verstärkte Unterstützung und Förderung von Biodiversität und Erhalt alter Sorten im Interesse der Bevölkerung. Der Bund möge diese Haltung im Rahmen der Europäischen Union auch weiterhin mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vertreten.
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